Regelmäßig zu meditieren, ist wie das Knüpfen einer dauerhaften Freundschaft.
Ein anderer, ein besserer Ort
Wenn wir meditieren, begegnen wir auf unserer täglichen Reise in unserem Innern einem Strom, der alles widerspiegelt, was wir in uns tragen - Gedanken, Gefühle, Erinnerungen. Es ist, als betreten wir die Welt einer sich ständig verändernden Reflexion: von Kindheit und Gegenwart, von Familie, Beziehungen und Erfahrungen, im Hier und Jetzt.
Meditation öffnet uns und führt zu mehr innerer Sensibilität und Akzeptanz für etwas in uns, das immer in Bewegung ist. Im Fluss neuer Gedanken verhilft uns die Meditation zu einer Gelassenheit, zu einer inneren Kraft, die uns stark macht für Veränderungen und fürs Weitermachen, die uns zu verstehen gibt, dass es immer einen neuen Tag geben wird.
In der Meditation begegnen wir der Vergangenheit, dem, was gewesen ist, aber auch dem, was in der Gegenwart weiterlebt, in der wir uns mit Neugier fragen, was noch kommen mag. Unbehagen und Schweres wirken vielleicht weniger stark auf uns. Das Gepäck, das wir jeden Tag mit uns herumtragen, wird etwas leichter, und am Horizont wird es etwas heller.
Niemand weiß im Voraus, wie die eigene Meditation sein wird. Doch wenn die Meditation zu Ende ist und wir die Augen wieder öffnen, sind wir, nachdem wir das Ganze auf uns haben wirken lassen, an einem anderen, einem besseren Ort. Etwas in uns hat sich verändert.
Die Aufrichtigkeit der Meditation
Unsere besten Freund:innen sagen uns nicht immer das, was wir vielleicht von ihnen hören wollen, sondern das, was wir ihrer Meinung nach wir hören sollten, das, was wichtig für uns sein könnte.
So ist es auch mit der Meditation: Nach dem Meditieren wissen wir mehr darüber, wie wir uns fühlen, ob wir müde, unruhig, versöhnt oder zufrieden sind. Das macht es einfacher, zu verstehen, wo wir uns gerade befinden und welche Entscheidungen jetzt anstehen. Aufrichtigkeit gehört mit zum Wesen der Meditation.
Äußerlich betrachtet sind wir allein, wenn wir meditieren, aber in unserem Innern sind wir es nicht. In der Meditation können wir eine lebendige Nähe spüren, in der wir uns nicht allein oder uns selbst überlassen fühlen. Wir können an etwas teilhaben, das Grenzen überschreitet, das uns beschenkt, erneuert und stärkt.
Meditation ist nicht wie eine Freundschaft, die versucht, uns abzulenken, damit wir uns mit etwas anderem beschäftigen, die uns dazu verleiten will, „positiv zu denken“ und eine innere Distanz zu schaffen. Ganz im Gegenteil: Sie ist eine Verbündete, die uns den Spiegel vorhält, die uns hilft, eine bessere Verbindung zu uns selbst aufzubauen, und die uns dank unserer Fähigkeit, zu verstehen, Einsicht und Sicherheit bringt.
Eine Vertraute, die nie zu viel wird
Täglich zu meditieren bedeutet, eine Begleitung zu haben, auf die man sich verlassen kann. Sie ist stets da und führt zu einer inneren Öffnung, die Ruhe und Erneuerung bringt, egal wo wir sind. Die meditative Freundschaft verstärkt die Stille und das Gute in uns, das Schwierige hingegen wird ein wenig erträglicher.
Langfristige Freundschaften können besonders bereichernd und mit der Zeit noch lohnender und fruchtbarer sein. Meditation ist eine Gefährtin, derer man nie überdrüssig wird. Dank ihrer Spontanität hat sie uns immer etwas zu mitzuteilen, kann sie uns unterstützen und bereichern.
Wenn wir krank sind, kann uns die Meditation Ruhe bringen, die wir sonst vielleicht nicht finden würden.
Wenn sich das Leben dem Ende neigt, ist die Meditation eine Begleitung, auf die man sich fast bis zum letzten Moment verlassen kann, etwas, an dem man sich festhalten kann, wenn man für alles andere zu schwach ist.
Ein Flüstern, dem wir Gehör schenken sollten
Freund:innen können in Konkurrenz zueinander stehen. Wenn wir uns Zeit zum Meditieren nehmen, müssen andere Dinge vielleicht warten. In der Meditation selbst gibt es jedoch weder Wettbewerb und noch Eifersucht. Meditation öffnet einen inneren Raum, in dem es keine Grenzen gibt.
Unsere Ressourcen in der Meditation werden nicht verbraucht, nicht vergeudet, und sie schaden auch niemandem. Was wir in der Meditation gewinnen, ist nichts, wovon andere weniger haben oder das anderen weggenommen wird.
Das Zusammensein mit jemandem über einen längeren Zeitraum kann offenbaren, wie wertvoll eine Freundschaft ist. Gute, tiefgründige Gespräche bringen uns an unbekannte Orte. Das Gleiche gilt für Langmeditationen und Retreats: Hier können wir das Potenzial dieser inneren Freundschaft noch besser erkennen.
Unsere meditative Begleitung ist immer da, wenn wir es wollen. Zugleich liegt es an uns, denn Meditation sucht nicht nach uns, kommt uns nicht hinterhergelaufen, ruft nicht nach uns und drängt sich nicht auf.
Meditation ist ein Flüstern, für das wir uns aktiv entscheiden müssen, eine innere Stimme, die wir suchen müssen. Es liegt an uns, dieser Verbündeten einen inneren Raum zu geben.
Von Ole Gjems-Onstad - Acem-Meditationslehrer und Leiter von Acem International
Übersetzt von Lilo Woop und Vera Kühn