Eine Bewältigungsstrategie zum Umgang mit dem Leben

Lilo Woop nahm Anfang des Jahres an ihrem ersten Vertiefungsretreat in Acem Meditation teil. Was hat sie daraus mitgenommen?

"Die Meditationen während des Vertiefungsretreats waren abenteuerlich, interessant, tiefgreifend, schwer, freudvoll und intensiv. Es war nicht einfach eine proportionale Zunahme im Sinne von „mehr Stunden, mehr Prozess“. Ich habe mich in einem ganzen Ozean von Emotionen, Erinnerungen, Bildern und Empfindungen wiedergefunden."

Für Lilo hat diese Erfahrung einen tiefgreifenden Zusammenhang. Obwohl sie allein in ihrer Meditation war, hat ihr etwas in der meditativen Aktivität ein Gefühl der existenziellen Zugehörigkeit gegeben.

"Ich konnte eine tiefe Verbindung spüren, nicht nur zu meiner inneren Welt, sondern auch zu anderen Menschen. Es hat sich wunderschön angefühlt und mein ganzes Sein in dieser Welt beeinflusst. Ich habe entdeckt, wie mein heutiges Leben mit Erfahrungen aus meiner Kindheit zusammenhängt, die ich vorher nicht sehen oder akzeptieren konnte. Jetzt kann ich mir mehr erlauben, so zu existieren, wie ich bin."

Was haben Sie durch die Erforschung dieser inneren Welt über sich selbst gelernt?

"Ich habe erkannt, dass ich ein sehr starkes Bedürfnis nach Stille und Verbindung in meinem Leben habe. Es fühlt sich so viel reicher an, aktiv mit allem zu interagieren, was in der Meditation auftaucht, anstatt unangenehme Themen zu unterdrücken oder mich abzulenken. Es macht mich auch weniger pessimistisch in Bezug auf mein Leben, die Welt und die Zukunft im Allgemeinen."

Stress

Lilo arbeitet als Sozialpädagogin mit Mitarbeiter:innen, die von Abhängigkeit und anderen gesundheitlichen Problemen betroffen sind. Sie bildet ehemals abhängige Menschen zu Ansprechpersonen für andere aus, die im Moment Schwierigkeiten haben. Und sie bietet Unterstützung in allen Bereichen an, mit denen sie als Ansprechpersonen konfrontiert sind.

Sie hat Acem Meditation im Jahr 2018 gelernt, als sie ihr Studium mit der Arbeit kombinierte und viel zwischen verschiedenen Städten reisen musste.

"Ich habe mich damals gestresst gefühlt, durch viele Anforderungen von außen. Mein Cousin hat mir zu dieser Zeit Acem Meditation empfohlen. Er hat darüber gesprochen, wie bedeutsam es für ihn ist und wie er es als Bewältigungsstrategie nutzt, um mit dem Leben generell umzugehen. Das hat mich sehr neugierig gemacht, sodass ich mich für einen Grundkurs angemeldet habe."

Wie würdest du deine erste Erfahrung beschreiben, als du die Augen geschlossen und den Meditationslaut wiederholt hast?

"Ich erinnere mich, dass ich eine große Erleichterung empfunden habe. Ich musste nur dasitzen und den Laut so sanft wie möglich wiederholen. Und das war genug. Im Ernst? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das wirklich alles sein könnte. Ich schätze, auf lange Sicht sind die einfachsten Dinge oft die schwierigsten. Aber in diesem Moment war ich ehrlich gesagt verwundert über die Leichtigkeit dieser Aufgabe.

Gleichzeitig hat es sich anziehend angefühlt, besonders weil ich gespürt habe, dass meine Beine ganz ruhig und entspannt auf dem Stuhl lagen. Mir ist in dem Moment klargeworden, wie rastlos ich in den Monaten zuvor gewesen bin. Ich habe mich so ruhig gefühlt wie lange nicht."

Herausforderungen und Erkenntnisse

Obwohl Lilo eine positive erste Erfahrung mit Acem Meditation gemacht hatte, erlebte sie bald etwas, was unter Meditierenden nicht ungewöhnlich ist: die Schwierigkeit, eine regelmäßige Meditationsroutine zu etablieren.

"Ich wusste, dass mir das guttut, erklärt sie. Aber aus irgendeinem Grund gab es da auch diese andere Stimme, die mich versucht hat abzulenken. Diese innere persönliche und kulturelle Stimme sagt mir, dass ich bei dem, was ich tue, konsequent etwas erreichen sollte oder dass es ein klares Ziel, klare, messbare Ergebnisse, eine Strategie usw. geben sollte. Auf der anderen Seite habe ich viel Schuld und Scham gefühlt, weil ich mich nicht dafür entscheiden konnte, gut auf mich selbst zu achten. Ich meine, wenn ich nicht in der Lage war, regelmäßig etwas in meinem Leben zu tun, das mir guttut, bin ich dann vielleicht nicht wirklich an einem guten Leben interessiert? Es hat also auch viele, ziemlich harte Urteile über mich selbst gegeben."

Sie hat es geschafft, in einer Anleitungsgruppe von Acem zum Kern des Problems vorzudringen.

"Ich habe erkannt, dass ich kein schlechter Mensch bin, wenn ich nicht meditiere. Es war interessant zu sehen, wie viel Selbstkritik hinter dieser Idee gesteckt hatte. Ich habe auch entdeckt, dass ich mich häufig selbst dafür zu verurteile, nicht perfekt zu sein, und dass es auch wertvoll ist, diese Gefühle und Gedanken als Teil von mir zu akzeptieren. Es hat mir einen Weg eröffnet, mit diesen Problemen und Themen meines Lebens umzugehen. Ich kann frei wählen."

Für Lilo war es wichtig zu erkennen, dass sie nicht meditieren muss, sondern meditieren kann.

"Diese Perspektive hat es mir ermöglicht, kontinuierlich jeden Tag zu meditieren. Ich hatte das Gefühl, meiner inneren Welt zu begegnen und besser in der Lage zu sein, lebensverändernde Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel habe ich meinen vorherigen Job gekündigt, der in gewisser Weise sehr wertvoll und interessant war. Aber es hat dort einfach zu viele Ablenkungen und Reize für mich gegeben. Durch die Meditation habe ich mich selbst und meine eigenen Bedürfnisse ernst nehmen können. Ich habe erkannt, dass ich meine Talente in meinem Beruf nicht in dem Maße einsetzen konnte, wie ich es wollte, und dass ich mich etwas Anderem zuwenden wollte."

Rastlosigkeit

Zusätzlich zur Herausforderung, eine regelmäßige Meditationsroutine zu etablieren, ist Lilo einem weiteren weit verbreiteten Phänomen unter Meditierenden begegnet: Rastlosigkeit. Einige Monate nachdem sie die Technik erlernt hatte, hat sie viel davon während ihrer täglichen Meditationen erlebt.

Obwohl sie das Gefühl heute als Rastlosigkeit identifizieren kann, war dies nicht ganz klar, als das Gefühl zum ersten Mal aufgetreten ist.

"Es war nicht leicht für mich zu identifizieren, was passierte. Ich hatte das Gefühl, dass etwas grundlegend nicht stimmte. Ich habe nicht gut meditiert, sondern habe einfach meine Zeit damit verschwendet, dort zu sitzen.

Ich habe mich durch dieses Gefühl auch isoliert gefühlt, weil ich gedacht habe, niemand auf der Welt könnte dasselbe fühlen wie ich. Glücklicherweise war ich mutig genug, dieses Gefühl in einer Anleitungsgruppe von Acem zu teilen. Und wieder hat es sich wie eine Erleichterung angefühlt. Viele andere Menschen konnten dieses Gefühl nachvollziehen – sie hatten es selbst gespürt."

Als mittlerweile erfahrene Meditierende kann Lilo diese Phasen des Widerstands als fruchtbare Teile des Meditationsprozesses betrachten.

"Ich schätze, es ist ein wiederkehrendes Muster für mich und vielleicht werde ich es wiederholt erleben. Aber ich denke auch, dass ich heute besser in der Lage bin, die Prozessperspektive dessen zu verstehen, was geschieht. Ich habe mich auch daran gewöhnt, dass keine Meditation wie die andere ist. Meine Meditationen verändern sich ständig.  

In meinem Geist gibt es immer noch mehr, das darauf wartet, erforscht zu werden. Wenn die schwierigen Phasen irgendwann vorbei sind, habe ich Zugang zu mehr. Und da ist auch dieses starke Gefühl der Zugehörigkeit, kein Individuum zu sein und die Welt von außen zu betrachten, sondern mich mit dem Leben verbunden zu fühlen.

Auch hier kann ich auf das Bild eines Ozeans verweisen, die Idee, von einer endlosen Dimension umgeben zu sein. Es fühlt sich an, als würde ich mich mit etwas auseinandersetzen, das sowohl in mir als auch um mich herum existiert, ohne dass ich die Gesamtheit des Ganzen verstehen kann. Auch das tiefe Verständnis, keinen Drang oder keine Möglichkeit zu haben, es vollständig zu verstehen. Ich denke, das ist ein wichtiger Aspekt der Acem Meditation. Meditieren bedeutet, zu versuchen, etwas zu verstehen. Wir versuchen, uns mit den Themen unseres Lebens auseinanderzusetzen. Das kann wunderschön sein."

Tägliche Meditationen

Wie beeinflusst die Acem Meditation Ihren aktuellen Alltag?

"Ich erlebe, dass ich jeden Tag viel bewusster in Kontakt mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen bin. Meditation ist das Erste, was ich morgens mache, ich stehe mit mehr Energie auf. Ich weiß, dass mein Tag damit beginnt, in Stille da zu sitzen und mir diesen Raum zu geben. Ich spüre, dass ich sensibler agiere und besser in der Lage bin, mit Stresssituationen umzugehen. Manchmal merke ich, dass ich in vielen Situationen mehr Optionen sehe.

Ich kann zum Beispiel anders auf die Anfragen meiner Klient:innen eingehen: Wenn sie sich beispielsweise fragen ob sie einer Person, die Hilfe sucht, Ratschläge geben oder sich im Gespräch mehr zurückzuhalten sollen. Jeder Mensch sollte individuell gesehen und wertgeschätzt werden, und die Antwort ist selten ein Einfaches „entweder/oder“. In den meisten Fällen definiert die Beziehung die Optionen. Es kann wertvoll sein, in der Situation zu bleiben und alle einzigartigen Optionen gemeinsam zu erkunden. Das ist ein bisschen wie in der Meditation: Keine Situation ist genau wie die andere. Wir können versuchen, eine freie innere Haltung gegenüber jeder einzigartigen Situation zu entwickeln. Normalerweise ergibt sich dann die Möglichkeit, mehr zu sehen."

Und wie hat das Vertiefungsretreat, an dem du im Januar teilgenommen hast, deine täglichen Meditationen beeinflusst?

"Obwohl ich Acem Meditation bereits aus anderen Retreats und Aktivitäten als sehr bereichernde und erfahrungsintensive Meditationsform kannte, überraschte mich das Vertiefungsretreat in seiner Intensität. Für einige Wochen danach habe ich eine wunderbare, tiefe Stille in meinem Leben gefühlt, und meine täglichen Meditationen waren oft angenehm. Nach etwa drei Monaten hat eine Phase des Widerstands gegen die Meditation begonnen, und es hat sich überhaupt nicht mehr angenehm angefühlt, dort zu sitzen und in dieser Unruhe den Laut zu wiederholen, begleitet von dem starken Gefühl, dass 45 Minuten niemals enden würden.

Letztendlich lohnt es sich dort zu bleiben, genau an diesem Ort, und zu versuchen mein Bewusstsein zu erweitern. Es gibt immer eine kleine, winzige Sache, die jenseits der Unruhe wahrgenommen werden kann. Meditation fühlt sich für mich sehr bereichernd an und gibt mir viel Hoffnung für die Zukunft. Egal wie verzweifelt oder hoffnungslos eine Person sich fühlt, es gibt immer etwas, dem wir uns freundlich zuwenden können."

Interviewer: Mattias Solli